„Ein gutes Lehrspiel ist wie ein Christstollen“

 

Greta Luise Hoffmann ist studierte Produktdesignerin und leitet das GameLab am Institut für Postdigitale Narrativität der HfG Karlsruhe, das sich der zeitgenössischen Spielkultur vor allem im Bereich der interaktiven Kunst widmet. Sie ist Jury-Mitglied beim zweiten Foresight Filmfestival und wird am Festivalabend (30. Juni 2016, Steintor Varieté in Halle), gemeinsam mit Herrn Prof. Dr. Hendrik Send, an dem einleitenden Blitzgespräch in der Themenkategorie „Digitale Kompetenz. Wie, wo und was lernen wir in 20 Jahren“ teilnehmen.

 

Science2public sprach mit Greta Luise Hoffmann über Videospiele als gesellschaftsverän-derndes Medium, falsche GadgetHypes, Bedingungen für mehr Medienkompetenz und digitales Weihnachtsgebäck. 

Das von Ihnen entwickelte Kinderspiel Müll AG wurde mehrfach ausgezeichnet. Was macht für Sie ein gutes Lernspiel aus?

Greta Luise Hoffmann: Erst einmal sind alle Spiele für mich Lernspiele, denn es ist dem Medium inhärent, dass bei jedem Spielen ein Lernprozess stattfindet. Möchte man aber differenzieren, sollten auf Lernen fokussierte Spiele zunächst einmal einfach begeistern und die Freude am Lernen fördern. Ich selbst habe oft mit einem großen Schweinehund zu kämpfen und jede Hilfe diesen zu überwinden, unterstützt mich dabei, die Welt um mich herum auch besser zu verstehen. Unterhaltsame Lernspiele können so doppelt befriedigend sein. Ich kann spielen mit dem angenehmen Gefühl, dabei bewusst noch etwas dazuzulernen. Gute Lernspiele sollten daher den Anspruch verfolgen, die Nutzer über einen sehr langen Zeitraum mit Spielspaß zu motivieren. So kann das Lernziel auf einem niederschwelligen Level spielend erreicht werden.

Welche Mechanismen sind wichtig, um den Nutzern solch ein sanftes Lernen zu ermöglichen?

Hoffmann: Die Entscheidung über einen Mechanismus sollte sich unter anderem an die jeweiligen Spielertypen unter den Nutzern richten. Mit unserem Spiel “Die Müll AG” versuchen wir, verschiedenste Typen über unterschiedliche Mechaniken anzusprechen und so abzuholen. Um zwei Beispiele zu geben: Wir haben spezielle Items („Accessoires“) für den Spielertypus des Sammlers ( „Collector“) eingebaut, also Menschen, deren Daueranreiz am Spiel durch die Aussicht auf Vollständigkeit erzeugt wird. Für eher narrativ getriebene Spieler hingegen gibt es ein ganzes Abenteuer voller Missionen und entsprechender Rätsel, die durch das Spiel führen. Will man eine breitere Masse ansprechen, wie es bei den meisten Lernspielen der Fall ist, kann man bei der Gestaltung des Gameplays in gewisser Weise an das Backen eines Christstollens denken. Es braucht eine stimmige Mixtur, die jedoch trotzdem noch einen eigenen Geschmack behält. Kennt man seine Nutzergruppe genau, kann es mitunter besser sein, das Spiel auf auf wenige Mechanismen zu reduzieren und diese dann zu perfektionieren.

Welche Potenziale und Grenzen sehen Sie in der Wissensvermittlung durch Lernspiele?

Hoffmann: Im Moment betrachte ich die Potenziale noch als nahezu grenzenlos, da zu wenige Entwickler überhaupt die Chance erhalten, Spiele zu machen, die die Vermittlung von Lehrinhalten mit echtem Spielspaß vereinen. Viele Lehrspiele, die heute auf dem Markt sind, zielen eher auf die Eltern als potenzielle Käufer ab, indem sie sich als pädagogisch wertvoll anpreisen, aber zu wenig auf die Kinder, die das Spiel nur zweimal starten, bevor es sie langweilt oder sie das Gefühl haben, es mit verkleideten Hausarbeiten zu tun zu haben. Die Grenzen sehe ich dabei aber nicht nur bei den Käufern, sondern auch in der Fantasie von manchen Förderern und Auftraggebern. Es fehlt bei beiden manchmal immer noch ein umfassenderes Verständnis des Mediums, seiner Zielgruppe sowie der noch offenen Potentiale.

Neben den Spielen ändern sich auch die dazugehörigen Spielgeräte. Nintendo führte mit der Konsole Nintendo Wii neues Zubehör ein, wie die interaktive Wii Fernbedienung oder das Wii Balance Board, für das Spielen per Fußdruck. Endlich konnte man daheim Tennis oder Golf spielen. Welche Entwicklung im Bereich dieser Gadgets erwarten Sie?

Hoffmann: Während ich die Entwicklung neuer Technologien und Hardware im Sinne einer Erweiterung unserer Spiel‐Möglichkeiten absolut befürworte, bin ich persönlich eher auf die Qualität des Gameplays fokussiert. Es gibt tolle 2D‐Spiele, deren Gameplay nicht unbedingt durch eine Portierung auf eine 3D‐Konsole aufgewertet wird. Andere Spiele hingegen wären ohne die Entwicklung neuer Konsolen gänzlich undenkbar gewesen. Nicht zuletzt die Erschließung einer ganz neuen, vorher ungeahnten Zielgruppe durch die Einführung der Wii zeigt, wie wichtig diese Forschung ist. Angesichts meiner persönlichen Hardware‐Ignoranz denke ich nicht, dass ich besonders fundierte Prognosen treffen kann. Allerdings hat sich gezeigt, dass sich von allen Gadgets die tragbaren Geräte am besten und nachhaltigsten entwickelt haben. Das Smartphone ist heute die lukrativste Spielekonsole. Die Flexibilität, immer und überall spielen zu können, die durch diese Konsolen ermöglicht wird, ist integraler Bestandteil ihres Erfolgsgeheimnisses und wird auch bei der Entwicklung zukünftiger Hardware ein wichtiges Kriterium bleiben.

In Forschungsbereichen zur Virtual Reality oder beim Neuro Gaming, bei dem über eine technische Schnittstelle durch pure Gehirnkraft gespielt wird, werden Handgeräte obsolet.

Hoffmann: Die Entwicklung der Virtual Reality oder des Neuro Gaming könnte etwas bahnbrechend Neues auf den Markt bringen, von dem man bisher in obskuren Rollenspielen oder in der Science‐Fiction nur träumen konnte. Ich gehe nicht davon aus, dass wir bereits so nahe an diesem Punkt sind, vor allem im Bereich des Neuro Gamings, wie manche Optimisten das vor einigen Jahren prophezeit haben. In großen Teilen der Bevölkerung mangelt es immer noch an einer Medienkompetenz, die notwendig wäre, mit so sensibler Technologie umzugehen. Und um eine solche Technologie massentauglich zu machen, müssen sowohl die Hardware als auch die Software so einfach zu bedienen sein, dass der Nutzer ein Gefühl der Selbstermächtigung durch die Technik erfährt. Doch es gibt sowohl Förderungen als auch Enthusiasten, die diese Entwicklungen in großen Schritten vorantreiben und so hoffen lassen, dass sich der Weg für diese Zukunftstechnologie bald ebnet.

In der Kategorie Digitale Kompetenz fragen wir: Wie, wo und was lernen wir in 20 Jahren? Interessant ist auch die Frage: Wer lernt digital in 20 Jahren?

Hoffmann: Meine Hoffnung ist, dass über kurz oder lang alle Menschen die Chance haben, digitale Medien zum Lernen zu nutzen. Das Lehren von Medienkompetenz an Schulen ist dafür integral. Obgleich es bereits viele Schulen gibt, die Computerunterricht anbieten, ist in diesem Bereich doch noch viel zu lernen. Digitales Lernen, insbesondere in spielerischer Form, ist sehr effizient und gleichzeitig unterhaltsam. Doch digitales Lernen muss erst gelernt und damit auch gelehrt werden. So möchte ich jung und alt dazu aufrufen, sich jetzt in der Nutzung digitaler Medien zu üben, um sich später viel umfassender in allen Gebieten bilden zu können.

Welche Aspekte sind für Sie entscheidend für zukunftsfähige Medienkompetenz?

Hoffmann: Zu dieser Kompetenz gehört für mich ein zumindest rudimentäres Wissen über Hardware, angefangen damit, was ein HDMI‐Kabel ist und welche Slots eines Laptops welche Funktionen haben. Zudem gehören ein paar Grundkenntnisse in Office Programmen, insbesondere Word und Excel dazu, sowie im besten Fall auch ein rudimentäres Wissen in einem Grafikprogramm. Auch Online‐Etikette und ein paar Grundlagen der Email‐Kommunikation sind integraler Bestandteil unserer Gesellschaft geworden.

Für geradezu essentiell aber halte ich die Fähigkeit zu Googlen. Die Möglichkeiten der Recherche, die das Internet zur Beantwortung fast aller nur denkbarer Fragen bereithält, sind das größte Gut, das die Menschheit im Moment zur Verfügung hat.

Wer hat mehr Verantwortung nutzerfreundliche Technik zu entwickeln, der Informatiker oder Designer?

Hoffmann: Die frühzeitige Verheiratung von Informatik und Design ist der Schlüssel zu nutzerfreundlichen Produkten. Wie erfolgreiche Firmen wie Apple zeigen, spielt nicht ausschließlich die Mächtigkeit der Technologie eine Rolle, sondern auch Bedienbarkeit, Haptik und Ästhetik. Ein rein funktionales Produkt mit vielen verschiedenen Features kann Käufer in der Bedienung überfordern, eine rein ästhetische Aufmachung ohne qualitative Funktionalität ist genauso unerwünscht.

Die Spiele, die bei uns im Rahmen des GameLabs entstehen, das von einer intensiven Kollaboration von Künstlern, Designern, Musikern, Geisteswissenschaftlern und Informatikern lebt, zeigen das immer wieder in außergewöhnlichen und erfolgreichen Umsetzungen.

Foto Greta Hoffmann-face

Greta Luise Hoffmann, GameLab Karlsruhe