Die Maker-Szene – Erfindergeist fernab disziplinärer Grenzen

 

Martin Laarmann ist Geschäftsführer der Make Germany GmbH und Ausrichter des Maker-Festivals Make Munich, Süddeutschlands größter Maker Fair & High-Tech-Do-It-Yourself-Festival. Am Festivalabend (30. Juni 2016, Steintor Varieté Halle) wird er mit unserem Jurymitglied Dr. Sascha Dickel im Rahmen des einleitenden Blitzgesprächs in der Themenkategorie „Vom-Do-it-yourself zum Do-it-together. Transformation durch Tauschen, Teilen, Selbermachen?“ diskutieren.

 

Science2public sprach mit dem Experten für die deutsche und internationale Maker-Community über den besonderen Charakter von Maker-Gruppen, das Deblackboxing und die unterschätzten  Innovationspotentiale der Community.

Im Januar diesen Jahres fand die dritte Make Munich statt. Welche Projekte haben sie beeindruckt?

Martin Laarmann: Zum einen faszinieren mich Projekte, die interdisziplinär sind und sich nicht nur auf Technik beschränken, vielleicht sogar soziale und ökologische Aspekte einbinden. Enorme Innovationen erwachsen vor allem aus Projekten, in denen technisch orientierte Maker mit Künstlern und Kreativschaffenden partizipieren. Spannend sind für mich ebenfalls Projekte, welche die Welt verbessern möchten. Eine große Maker-Strömung arbeitet an passgenauen Prothesen aus dem 3D-Drucker. Die sehen dann zwar nicht sonderlich schick aus, kosten aber nur einen Bruchteil des herkömmlichen Preises. Dadurch werden sie auch für Menschen in armen Regionen der Welt und Kriegsgebieten bezahlbar.

Neben all den Maker-Faires weltweit, was ist der spezielle Charakter der Make Munich?

Laarmann: Wir legen großen Wert auf den interdisziplinären Charakter und bemühen uns um einen Schulterschluss von Technik und Kreativwirtschaft. Zudem hat sich die Kreativwirtschaft in München stark entwickelt und generiert Umsätze, vergleichbar mit Paris und London. Die Region war schon immer Hightech-Region und ist nun auch zu einem weltweit renommierten Kreativstandort geworden und davon profitiert auch die Maker-Szene.

Sie sprachen den hohen Stellenwert der Interdisziplinarität an. Wo hapert es Ihrer Meinung nach meist noch in der Zusammenarbeit?

Laarmann: Oft handelt es sich um den klassischen Streit zwischen Ingenieur und Designer, in dem beide Seiten Klischees nutzen und bedienen. Die Maker-Szene hingegen kümmert sich eigentlich gar nicht darum, aus welcher Fachdisziplin jemand stammt. Das Projekt steht immer im Vordergrund. Man könnte hier von einer Anti-Interdisziplinarität der Community sprechen, in der mit Neugierde neues Wissen durch Austausch, Gespräche und Experimente erworben wird, ohne einer Disziplin zu sehr verhaftet zu sein.

Die Maker-Szene als perfekte, universelle Gemeinschaft?

Laarmann: Die bundesweiten und internationalen Fab Labs beweisen mir, dass es einen großen Wunsch nach Gemeinschaft gibt, in der alle fachsimpeln, ob nun Hobby-Forscher oder graduierter Wissenschaftler. Bei den Fab Labs sehe ich höchstens die Gefahr, dass sie sich zu Männervereinen entwickeln. Mit Methoden aus dem Coworking-Bereich lässt sich dem entgegenwirken. So kann man Community-Manager einsetzen, die mit ihrer Mentalität Zugänge für verschiedenste Menschen schaffen, Berührungsbarrieren abbauen und Disziplin übergreifend vernetzen.

Die Maker-Szene baut sich auf Selbstverwaltung und Idealismus auf. Wie entsteht ein Lab?

Laarmann: Aus meiner Erfahrung heraus funktionieren die Maker-Communities, ganz gleich ob man sich Fab Labs, Hacker Spaces oder Maker Faires anschaut, ähnlich wie Coworking-Spaces. Diese kollaborativ arbeitenden Gemeinschaftsbüros strukturieren sich oft nach dem Serendipitätsprinzip, bei dem der glückliche Zufall die Menschen zusammenbringt und die Arbeitsstruktur beeinflusst. Der Einzelne sucht zunächst die Arbeitsgemeinschaft, um neues Wissen und Lösungen zu finden und nicht unbedingt eine ganz bestimmte Person. Gleichzeitig fließen dann nicht nur Fachwissen, sondern auch persönliche Erfahrungen und verschiedene Mentalitäten in die Arbeitsprozesse ein.

Was bestimmt den Charakter einer einzelnen Maker-Gemeinschaft?

Laarmann: Ist eine Community etabliert, dann hat die Grundgruppe, die das Forum initiiert hat, weiterhin  großen Einfluss auf die Gesamtentwicklung. Beispielsweise ist Mailand bekanntermaßen eine Design-Hochburg. Dort existieren zahlreiche Fab Labs, die sich auf innovatives Design konzentrieren. In Slowenien hingegen gibt es den schon fast alteingesessenen Hackerspace Ljudmila, der ähnlich agiert wir der Chaos Computer Club in Deutschland. Dieser Hackerspace hat sich zwar über die Jahre stetig neu erfunden, ist aber gleichzeitig dem Programmieren treu geblieben. Dort entstehen gerade ganz spannende Projekte im Bereich des Music-Hackings.

Welches Innovationspotential sehen Sie in der Maker-Szene?

Laarmann: In der Szene gibt es viele Personen, denen unwohl dabei ist, sich der zunehmenden Datensammlung durch Maschinen auszusetzen und gleichzeitig Nutzer einer Technologie zu sein, ohne diese im Innersten zu verstehen. Öffnet man beispielsweise die Motorhaube eines modernen Fahrzeugs, sieht man einen monolithischen Motorblock, der es einem Hobbyschrauber in der Garage unmöglich macht, das Auto in seiner Funktionsweise vollends zu verstehen. Geräte wie z.B. das iPhone sind nicht zum Öffnen gedacht, es sind Blackboxes. Das Phänomen, welches ich in der Maker-Szene beobachte, nenne ich daher gern Deblackboxing. Maker versuchen, Software und Hardware einer Maschine zu verstehen, zu modellieren und Kontrolle darüber zurückzuerlangen.

In der Debatte um das Potential der Industrie 4.0 wird außerdem übersehen, dass die verwendeten Technologien z.B. beim Internet of Things (IoT) für jedermann erschwinglich sind. Maker sind dabei die Pioniere die diese Technologien nutzen und auch weiterentwickeln. Das innovative Potential verlagert sich dadurch auch auf Seiten der Nutzer und der Maker-Szene.

Wie weit stehen wir von einer neuen technologischen Revolution entfernt?

Laarmann: Durch die HTML-Erfindung 1989 begann die Demokratisierung der Information und der Kommunikation durch das Internet. Das ist nur ein paar Jahrzehnte her. Eine ähnliche Entwicklung sehe ich in der Maker-Szene durch eine fortschreitende Demokratisierung der Produktion, Elektrotechnik und der Finanzierung. So können Maker heute durch Crowdfunding viel schneller ihr Produkt auf dem Markt testen. Ich bin überzeugt, dass die Demokratisierung der Möglichkeiten neue Ideen schafft, über die die Industrie, von der wir bislang Innovation erwartet haben, noch lange nicht nachdenkt.

In welcher Beziehung steht die Maker-Szene zu Wirtschaftsmärkten?

Laarmann: Der Maker-Szene geht es weniger um ein mit oder gegen die Wirtschaft, sondern um ein Umdenken des Konsumverhaltens und der Nutzung von Technik. Bedenkt man, dass unser Wirtschaftssystem auf permanentem Wachstum aufbaut und Unternehmen den Markt mit ständig neuen Produkten überschwemmen, die nicht wirklich besser sind als Vorgängermodelle oder sogar durch „geplante Obsoleszenz“ nach Ende der Garantiezeit untauglich werden, dann fragt sich besonders die Maker-Szene, ob man solche Produkte nicht verbessern oder modifizieren kann. Wenn auf einmal das Kontrollmodul im Kühlschrank kaputt ist, das die Kühlung steuert und man nur die Möglichkeiten einer teuren Reparatur oder eines neuen Kühlschranks angeboten bekommt, dann schaut der Maker nach Alternativen. Zum Beispiel könnte er selbst einen Open-Source-Microcontroller in den Kühlschrank einsetzen, der preiswerter als eine Reparatur ist und ähnlich gut funktioniert wie das vorinstallierte Kontrollmodul. Damit spart der Maker Geld und schont Ressourcen.

Martin Laarmann

Martin Laarmann, Make Munich