Mit partizipativer Forschung zu neuen Geschäftsfeldern

 

Dr. Stefan Hellfeld leitet seit 2013 das House of Living Labs (HoLL) des Forschungszentrums Informatik in Karlsruhe (FZI), welches Unternehmen, Wissenschaftlern und Designern Möglichkeiten zur interdisziplinären Forschung in realitätsnahen Umgebungen gibt. Er ist Jury-Mitglied beim zweiten Foresight Filmfestival und wird am Festivalabend (30. Juni 2016, Steintor Varieté in Halle) in der Themenkategorie „Die Zukunft ist Open Space“ gemeinsam mit Constanze Kurz (Pressesprecherin Chaos Computer Club) in den Dialog treten.

 

Science2public sprach mit dem Experten für IT-Technologie über digitale Innovationen, Vorteile und Risiken kollektiver Entscheidungsprozesse und optimale IT-Lösungen für den Nutzer der Zukunft.

Living Labs sind heutzutage ein beliebter nutzerintegrierter Forschungsraum. Wo liegt die Besonderheit des House of Living Labs (HoLL)?

Dr. Stefan Hellfeld: Die Besonderheit des House of Living Lab des FZI besteht darin, dass wir mehrere Labs unter einem Dach vereinen. Vor gut sechs Jahren stellten wir fest, dass ein gemeinsames Forschen mit unseren Partnern zwar sehr innovative Prototypen zur Folge hat. Allerdings gab es auch Rückmeldungen , dass die Anwender gern gewisse Verbesserungen an einzelnen Prototypen hätten. Hier zeigt sich auch die Arbeitsweise des FZI,  bei der wir keine eigenen Produkte herstellen, sondern in Dialog mit unseren Partnern gehen und wir dann eine Idee zur Reife bringen. Daraus entstand dann die Idee des House of Living Labs, in dem Prototypen interdisziplinär entwickelt werden und testweise in Anwendung kommen. Insgesamt haben wir acht Labs, in denen unsere Partner, vornehmlich Wirtschaftsunternehmen, Anwendungen und Nutzerverhalten gemeinsam mit unseren Forschern erproben können.

Wie sieht die Arbeitsweise am House of Living Labs aus?

Hellfeld: Wir bezeichnen unsere Arbeitsweise als partizipatives Forschen. Dabei entstehen interessante und manchmal unerwartete Synergien. So spricht der Experte für Energiemanagement mit dem Experten für Elektromobilität und dieser wiederum mit dem Fachmann für Medizintechnik. Dabei entstehen neue Ansätze, die in einer einzelnen Domäne so kaum entstanden wären. Für Forschung und Austausch bietet das HoLL realitätsnahe Umgebungen. Beispielsweise unterhalten wir im Projekt SmartHome eine Zwei-Zimmer-Musterwohnung, in der innovative und funktionsfähige Technologien installiert wurden. So können wir den Alltag eines möglichen Nutzers abbilden und Algorithmen, welche sich beispielsweise um ein energieeffizientes Wohnen kümmern, auf das Nutzerverhalten ausrichten.

Welches Projekt hat für Sie besonders überraschende Ergebnisse bereitgehalten?

Hellfeld: Wir sind immer in solchen Fällen ein wenig stolz, wenn Unternehmen durch die lab-übergreifende Arbeit neue Geschäftsfelder entdecken. Wir haben beispielsweise im Rahmen des SmartHome-Projekts kapazitive Elektroden zur Messung bioelektrischer Signale entwickelt und diese in einen Bürostuhl integriert. Hier ging es zunächst darum, Stress am Arbeitsplatz zu protokollieren. Diese Daten wurden genutzt, um über Mechanismen der Stressbewältigung zu forschen. Bei diesem Projekt wurden dann unsere Partner im Automotive Bereich hellhörig. Sie interessierten sich für die verwendete Technologie, um mit ihr Vitalwerte von Autofahrern zu überprüfen und möglichen Stress zu reduzieren.

Bei einem Projekt wie dem SmartHome werden Bedürfnisse zukünftiger Hausbewohnern mitgedacht. Hier langfristig gültige Prognosen über neue Lebenswelten zu konstruieren, kann riskant sein. Wo liegen in dieser Hinsicht Fallstricke des Konzepts kollektiver Entscheidungsfindung? 

Hellfeld: Der Fallstrick ist in gewissem Maße das Kollektiv selbst, wenn es das Individuum vergisst. Wenn versucht wird, eine optimale Lösung für viele Nutzer zu entwickeln, kann der Einzelne mit seinen Bedürfnissen auf der Strecke bleiben. Ein Problem beim SmartHome beispielsweise besteht darin, dass wir keinen gesamten Altersverband als Proband nutzen können. Hier verwenden wir einen empirischen Querschnitt, um so eine breite Masse abzubilden. Dadurch erhalten wir generalisierte Lösungen. Diese werden aber von Beginn konfigurierbar für den einzelnen Nutzer gestaltet, sodass er sich mit seinen Bedürfnissen wiederfindet.

Wann ist für Sie eine nutzerorientierte Lösung optimal?

Hellfeld: Aus meiner Perspektive als ehemaliger Software-Ingenieur ist eine IT-Lösung optimal, die sich unbemerkt vom Nutzer sukzessive an dessen Bedürfnisse anpasst. Wenn sich zum Beispiel die Sehkraft eines Bewohners im SmartHome verschlechtert und dadurch das Ablesen eines Tablets sehr schwierig wird, weil sie dort mit vielen Farben arbeiten, würde die Software dies protokollieren und entsprechend erleichternd reagieren. Ein anderes Beispiel ist die Programmierung der Waschmaschine. Diese Funktion ist in den ersten Wochen sehr attraktiv für Nutzer. Nach einiger Zeit möchten sie aber, dass die Waschmaschine dies automatisch realisiert. Hier ist es wichtig, der Maschine Freiheitsgrade zuzugestehen. Sie sollte keine Programmierung stur verfolgen, sondern sinnvolle und energieeffiziente Entscheidungen treffen – zum Beispiel, die programmierte wöchentliche Waschroutine aussetzen, weil die Nutzer im Urlaub sind.

Ist Technologie in Form künstlicher Intelligenz als ein weiterer Akteur innerhalb von schwarmintelligenten Entscheidungsprozessen vorstellbar? 

Hellfeld: Hierzu kann ich nur spekulieren. Aus reiner Forschersicht würde ich die Frage bejahen, da die künstliche Intelligenz prinzipiell den Anwender beeinflusst und dieser mit seinem beeinflussten Verhalten wieder auf die KI wirkt. Ich würde hier somit von einer Wechselwirkung von Nutzern und KI sprechen. Hier muss allerdings zuerst geklärt werden, wann wir von eigenständiger Intelligenz bei Software sprechen.

Inwieweit besteht bei dieser Entwicklung die Gefahr, selbstbestimmtes Handeln und Eigenverantwortung an die mitdenkende Maschine abzugeben und persönliche Freiheit unbemerkt aufzugeben?

Hellfeld: Diese Gefahr besteht durchaus und Entwickler haben hier eine doppelte Verantwortung. Zum einen in der Programmierung der Software, die dann auch diesen Aspekt mitdenkt und dafür sorgt, dass der Nutzer sich der Automatisierung bewusst ist und Verantwortung und Entscheidungsfreiheit behält. Zum anderen besteht sie in der Sensibilisierung des Nutzers gegenüber dem Umgang mit intelligenten Maschinen. Ein einfacher Mechanismus ist hier, dass die Software regelmäßig den Nutzer fragt, ob die bisherige Automatisierung fortgesetzt oder verändert werden soll.

 

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Dr. Stefan Hellfeld, FZI Karlsruhe